Architekturwettbewerb – Die Sinnfrage

Vormittags, auf einer Wiese, einem unbebauten Grundstück, irgendwo im Land.
30, 40 oder mehr schwarz gekleidete Damen und Herren stapfen durchs Gras, fotografieren die Umgebung, machen sich Notizen. Nach einer Stunde verschwindet die seltsame Gesellschaft wieder. Eineinhalb Jahre später steht dann, zum Ärger vieler und zur Freude einiger, ein neues Bauwerk auf der ehemals unberührten Wiese. Dazwischen – das Phänomen – Architekturwettbewerb. Trifft man als ArchitektIn Freunde und Bekannte, welche AnwältInnen, SteuerberaterInnen und ÄrztInnen sind, und kommt auf den Berufsalltag zu sprechen, so stellt man schnell fest, dass der Architekturwettbewerb in der Öffentlichkeit absolut falsch wahrgenommen wird. ArchitektInnen nehmen an Wettbewerben teil, gewinnen diese und bauen dann Häuser – so der allgemeine Tenor. Der Wettbewerb müsste demnach ein wirtschaftlich sinnvolles Werkzeug zur Erlangung von Aufträgen sein. Theoretisch.

Anlässlich des Baukulturreportes 2006 wurden zum Thema Wettbewerb vielsagende Zahlen ermittelt. So betrug der Aufwand österreichischer ArchitektInnen im Jahr 2005 etwa 73 Millionen Euro. Dem gegenüber stehen Berechnungen zur Auftragschance, welche 2005 noch bei etwa 0,9 % lag. (Die Chance, einen Wettbewerb zu gewinnen, liegt natürlich höher, aber oft genug kommt danach keine Beauftragung zustande.) Seit 2006 hat sich die Situation marginal verbessert. Es scheinen vermehrt geladene und zweistufige Wettbewerbe ausgelobt zu werden, was sich zumindest wirtschaftlich positiv auswirkt. Die Auftragschance liegt derzeit bei etwa 1,5 %.

Berücksichtigt man diese Zahlen, so muss man davon ausgehen, dass wirtschaftliche Motive keinen Anreiz zur Teilnahme an einem Wettbewerb darstellen können. Hätten die österreichischen ArchitektInnen im Jahr 2005 ihre 73 Millionen Euro in die heimischen Casinos getragen und dort auf Rot oder Schwarz gesetzt, so hätten zumindest etwa 50 % ihr Kapital verdoppelt. Diese Taktik wäre wirtschaftlich also weitaus vernünftiger gewesen, als an Wettbewerben teilzunehmen.

Was treibt dann ökonomisch agierende Unternehmer zur Teilnahme am kollektiven Rittern um den besten Entwurf? Zum einen mag es die persönliche Eitelkeit sein. Keine andere Aufgabe macht es möglich, mit einem ähnlich hohen Freiheitsgrad die eigene Identität und das eigene Bild von Architektur zu schärfen und zu vermitteln. Der Wettbewerb bietet die Möglichkeit, zu zeigen, was man kann und sich mit den MitbewerberInnen unter augenscheinlich fairen Bedingungen zu messen.
Zum anderen schwingt stets die Hoffnung mit, dass der in höchstem Ausmaß persönliche Einsatz schlussendlich zum erhofften Erfolg führt. Es scheint, als belüge man sich selbst, betreffend die Chancen auf Sieg und Auftrag, stets aufs Neue.

Als verlässliche Gewinner gehen vor allem die Auslober aus Architekturwettbewerben hervor. Zu geringsten Kosten erhalten sie eine ganze Reihe unterschiedlicher Vorentwürfe, welche die von ihnen vorgegebenen Funktionen und Anforderungen erfüllen. Genau genommen bezahlen sie die Leistung nur einmal, bekommen diese aber vielfach geliefert. Eine Jury unterstützt sie dabei, die Vor- und Nachteile der Entwürfe zu verstehen und zu beurteilen. Umso erstaunlicher ist es, dass viele Auslober es als Belastung ansehen, wenn Vergabegesetze und die darin verankerten Schwellenwerte die Austragung eines Architekturwettbewerbes fordern.

Es drängt sich der Vergleich auf, wie diese Form des Wettbewerbswesens in anderen Branchen ankommen würde. Kunde A lässt sich ein fertiges Produkt zeitgleich von 30 Anbietern anfertigen und liefern, bezahlt aber nur das, welches ihm schlussendlich am besten gefällt. Patient B lässt sich von sechs Ärzten therapieren, akzeptiert aber nur das Honorar desjenigen, der ihm am wenigsten Schmerzen zugefügt hat. Klient C lässt sich das Plädoyer seiner Verteidigung von 35 Anwälten fix und fertig schreiben, bevor er das erfolgsversprechendste auswählt und beauftragt. Alle anderen gehen leer aus. Undenkbar.

Bleibt die Frage, warum ArchitektInnen im Wissen um die ökonomische Irrationalität des Architekturwettbewerbes nun an Wettbewerben teilnehmen sollen.
Seine größte Bedeutung hat der Architekturwettbewerb hinsichtlich der Verantwortung für den öffentlichen Raum und die Umwelt. Bedenkt man die Lebensdauer eines Gebäudes, welche derzeit mit etwa 100 Jahren angenommen werden kann, so wirkt sich alles, was gegenwärtig geplant und gebaut wird, unweigerlich auf die uns nachfolgenden Generationen aus. Zieht man weiters ins Kalkül, dass vom weltweiten Energiebedarf etwa 25 % auf den Verkehr, 25 % auf die Industrie und stattliche 50 % auf Gebäude fallen, so wird die Verantwortung für nachhaltige Planung noch deutlicher. Nur das Wettbewerbswesen kann auf Dauer ermöglichen, dass tatsächlich die für die jeweilige Bauaufgabe besten Lösungen ermittelt und umgesetzt werden. Diese baukulturelle Nachhaltigkeit wird erst durch den grenzenlosen Idealismus und das ökonomisch vollkommen irrationale Verhalten einer ganzen Branche ermöglicht.

In diesem Bewusstsein müsste dem „System Architekturwettbewerb“ vonseiten Öffentlichkeit und Staat eine deutliche Wertschätzung entgegengebracht werden. Eine Branche, welche zugunsten aller kostenlos arbeitet, sollte gefördert und für ihren Einsatz anerkannt werden. Stattdessen wird aber der Wettbewerb von BauherrInnen als Bürde betrachtet und selbst öffentliche Bauträger wie Bundesministerien umgehen die Vergabegesetze (wie beim Entwurf für das Asylerstaufnahmezentrum Eberau).

Da relativiert sich das vermeintlich unvernünftige Verhalten der ArchitektInnen, die an Wettbewerben teilnehmen. Wer ist schließlich unvernünftiger – jene ArchitektInnen, die, teils aus idealistischen, teils aus eitlen Motiven, gratis arbeiten, oder jene, die dieses unglaublich großzügige Angebot ignorant ablehnen?

Text – M. Brischnik, erschienen auf www.gat.st am 22.02.2010