Mit dem Architekturbus nach Waidhofen an der Ybbs

Am 28. und 29. Mai finden in ganz Österreich die Architekturtage 2010 statt. Mit dem Ziel der Architekturvermittlung laden zahlreiche Veranstaltungen und Exkursionen dazu ein, Architektur zu erleben. Es liegt auf der Hand, dass solche Leistungsschauen nicht zuletzt Architektinnen und Architekten sowie einschlägig architekturinteressiertes Publikum anlocken, und es stellen sich die Fragen: Wie gelingt es, das richtige Klientel anzusprechen? Wie kann das ideale Zielpublikum abgeholt werden?

Eine Antwort darauf geben die beiden Grazer Architekten Peter Pretterhofer und Reinhard Schafler, die Gründer und Betreiber der Initiative „baustelle land“. Sie holen ihr Publikum gezielt ab. Am 29. April um 06.15 Uhr startete der „architekturbus 10“ im Naturparkzentrum Leibnitz mit 40 Bürgermeistern, Bezirkshauptleuten und Mitarbeitern von Baubezirksleitungen zu einem ganztägigen Ausflug nach Waidhofen an der Ybbs. Unter anderem mit an Bord der Baukulturbeauftragte des Landes Steiermark, DI Günter Koberg, sowie Landesbaudirektor DI Andreas Tropper.

Die Stadt Waidhofen im Südwesten Niederösterreichs, nahe an der Grenze zu Oberösterreich, ist topografisch vor allem durch den Fluss Ybbs geprägt, welcher sich ähnlich einer Klamm tief in den Stadtkern einschneidet. Die Altstadt selbst befindet sich in einem laufenden Entwicklungsprozess, welcher durch einen von Arch. Ernst Beneder gewonnen Gestaltungswettbewerb im Jahr 1991 ausgelöst wurde. Beneder, der selbst aus Waidhofen an der Ybbs stammt, empfing die steirische Delegation gemeinsam mit Bürgermeister Mag. Wolfgang Mair im Rathaus der Stadt, welches (ebenfalls von Beneder) 1995 gestalterisch geöffnet und umgebaut worden war.

Anhand der Masterpläne erklärte Beneder die stadträumliche Situation der Innenstadt, welche von zwei miteinander verbundenen, lang gezogenen Plätzen (oberer und unterer Stadtplatz) durchzogen wird. Beide waren bis zu ihrem Umbau von parkenden Autos und fließendem Verkehr dominiert, der Straßenquerschnitt wies in der Mittelachse einen Hochpunkt auf. Beneder senkte diesen Hochpunkt deutlich ab, um die Plätze muldenartig auszubilden. Die Oberfläche wurde nach langen Diskussionen mit der Bevölkerung gepflastert und mit einem Raster von Montagehülsen versehen, welche die flexible Gestaltung durch Marktstände, Sonnenschirme etc. ermöglichen. Die Plätze werden auch nach ihrer Neugestaltung sowohl von PKW als auch von fußläufigem Verkehr genutzt, stellen aber dennoch sehr einladende und belebte Räume dar. Im Rahmen eines Stadtrundganges führte Beneder auch über den Ybbsuferweg. Der Fluss war bis zum Bau der Uferpromenade 1999 aufgrund seiner tiefen Lage und des steilen Ufers im Wesentlichen unzugänglich. Der Uferweg erschließt der Stadt nun ein großartiges Naherholungsgebiet, welches zwischen dem kristallklaren Fluss, den Steilufern und den direkt angebauten historischen Industriebauten und Bürgerhäusern liegend von den Bewohnern begeistert angenommen wird. Das Ziel Beneders zeigt sich hier ganz klar – es gelte, „Räume zu vernetzen und Zugänge zu städtischen Räumen zu schaffen. Wege müssen so lebenswert werden, dass man gerne auf das Auto verzichtet, um die Stadt zu Fuß zu erleben.“ Das von Hans Hollein umgebaute Rothschildschloss sowie das von Ernst Hoffmann erweiterte Zeller Schloss wurden von außen besichtigt, bevor der „architekturbus“ zur Weiterfahrt nach Windhag einlud.

Windhag liegt etwa zehn Fahrminuten von Waidhofen entfernt auf einem Hügel. Der Ort ist denkbar klein – die Kirche mit dem Dorffriedhof, der Pfarrhof sowie der Windhagerwirt bestimmen das Ortsbild. Um dem Aussterben des Ortes entgegenzuwirken, wurde auf Eigeninitiative ein Dorferneuerungsverein gegründet, welcher vor allem den Pfarrhof sowie die Infrastruktur teilweise in Eigenregie saniert hat. Aus architektonischer Sicht hebt sich das von Johannes Zieser geplante und 2006 realisierte Musikheim positiv ab. Der Proberaum wurde unterirdisch in den Hang gebaut, sodass sein Flachdach, ergänzt um einen „Rahmen“ aus Sichtbeton, einen holzgedeckten Dorfplatz bildet. Die Realisierung wurde wiederum durch den hohen persönlichen Einsatz der Dorfbewohner und das Entgegenkommen befreundeter Firmen der Region möglich.

Nach der Besichtigung des Musikheims erreichte die Exkursion beim Windhagerwirt ihren tatsächlichen Höhepunkt. Geht es doch nicht vorrangig darum, nur Architektur zu besichtigen, sondern auch darum, den steirischen Entscheidungsträgern die Prozesse zu vermitteln, die hinter guter Architektur stecken. Im Rahmen einer Diskussion berichteten unter anderem Mag. Wolfgang Mair (Bürgermeister Waidhofen), Walter Chramosta (neben Hermann Czech und Peter Riepl Mitglied des ersten Gestaltungsbeirates von Waidhofen), Helmut Haiden (Mitglied Gestaltungsbeirat Waidhofen) über ihre Sichtweise der Entwicklungen. Chramosta erzählte vom Start des ersten Gestaltungsbeirates in Waidhofen, welcher seine Arbeit 2002 hoch motiviert und engagiert begonnen hatte. Sehr schnell stellte sich heraus, dass nicht alle Beteiligten diesem Engagement nur wohlwollend gegenüber standen. Es gab Probleme mit Architekten und Architektinnen bis hin zu standesrechtlicher Verfolgung und Klagesdrohung gegen Mitglieder des Beirates. Vielleicht habe man zu Beginn zu rasch zu viel gewollt, so Chramosta. Nichtsdestotrotz wurde der Fachbeirat als Werkzeug zur Sicherung der Baukultur vor allem bis zur Landesausstellung 2007 stark genutzt. Seit der Landesausstellung würden deutlich weniger Projekte vorgelegt, meint Helmut Haiden.

Die Gestaltungsprozesse in Waidhofen waren auch Thema unter den Einwohnern selbst. Im Speziellen war ein von Beneder entworfener und im Rahmen der Platzgestaltung realisierter Marktbrunnen der Bevölkerung Waidhofens ein Dorn im Auge. Bürgerbewegungen hatten sich formiert, mehrfach wurden bis zu 3000 Unterschriften gegen den Brunnen im Gemeinderat eingebracht und dessen Entfernung gefordert. Nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung und einer Bürgerbefragung, welche sich mehrheitlich gegen den Brunnen aussprach, wurde dessen Demontage schließlich von einem Tag auf den anderen vom Bürgermeister angeordnet. Der Brunnen steht nun auf dem Firmengelände der Firma Bene.
Chramosta berichtete abschließend von seinen positiven Erfahrungen im Fachbeirat von Feldkirch (Vorarlberg). Die wesentlichen Schritte seien eine gemeinsame Meinungsfindung im Beirat, die daraus resultierende gutachterliche Stellungnahme sowie die Besprechung und Erklärung aller Vor- und Nachteile des jeweiligen Entwurfes im Gemeinderat. Das Ergebnis sei ein Gemeinderat, welcher das Projekt mit seinen Qualitäten versteht und dadurch fähig ist, eine Entscheidung zu treffen.

Eine Ausfahrt mit dem „architekturbus“ der „baustelle land“ ist lehrreich und wertvoll. Der Blick hinter die Kulissen der Waidhofner Projekte hat gezeigt, wie komplex das Thema Bauen und wie wichtig der behutsame Umgang mit Baukultur sind. Vor allem ist es wichtig, die Entscheidungsprozesse sowohl der Planerinnen und Planer als auch der Fachbeiräte klar und transparent darzulegen, sodass Bürgermeister, Gemeinderäte und die Bevölkerung hinter den Plänen und Projekten stehen können. Die Dokumentationsfilme, welche Klaus Schafler im Rahmen der Exkursionen dreht, seien schließlich allen Architektinnen und Architekten nahegelegt. Es ist immer wieder überraschend, welche Vorurteile dem Berufsstand am Land entgegengebracht werden, und wie wichtig es ist, auf Augenhöhe über Architektur zu sprechen, sowie die Probleme und Forderungen der Nutzer und Bauherren ernst zu nehmen.

Erschienen auf www.gat.st, am 25.05.2010